Samstag 24. Mai 2025

Was machen Texte evangelischer Theologen im katholischen Gesangbuch?

 

Zu den wichtigsten Objekten im Tiroler Katholizismus zählt das Mariahilfbild im Innsbrucker Dom aus dem 16. Jahrhundert. Lucas Cranach der Ältere griff in seiner Mariendarstellung ein äußerst populäres Motiv auf - und zwar aus der Ikonographie des christlichen Ostens. Und Cranach selbst war evangelisch: ein Freund und Trauzeuge Martin Luthers.

 

Es hat lange gedauert, ehe die katholische Kirche gelernt hat, dass man nicht nur bei Bildern, sondern auch bei Gebeten und Kirchenliedern sich selbst treu sein und zugleich von "dem Anderen" etwas lernen und sich bereichern lassen kann. Mehr noch: Der Blick auf den Anderen kann meinen Horizont weiten, über meine eigenen Einseitigkeiten hinaus. Das Ökumenismusdekret des II. Vatikanischen Konzils stellt fest, dass die geistlichen Schätze anderer Konfessionen und ihr leidenschaftliches Zeugnis unseren eigenen Glauben stärken können. Sich aus anderen christlichen Kirchen bereichern lassen, ist zugleich auch ein Schritt hin auf die Einheit im Glauben, die Jesus Christus allen aufgetragen hat, die ihm nachfolgen.

 

Für ein katholisches Gebet- und Gesangbuch muss es daher eine Selbstverständlichkeit sein, seine Bestandteile nicht nur aus der eigenen konfessionellen Tradition, sondern aus der gesamten Ökumene auszuwählen. In Apg 10,34-35 wird Petrus mit den Worten zitiert: "Wahrhaftig, jetzt begreife ich, dass Gott nicht auf die Person sieht, sondern dass ihm in jedem Volk willkommen ist, wer ihn fürchtet und tut, was recht ist." Gleiches gilt auch, wenn Lieder, Texte und Gebete für den katholischen Gottesdienst vorgesehen werden. Das war im Gotteslob von 1975 schon so, und für das Gotteslob 2013 ist die spirituelle Schatzkiste noch einmal umso reicher und vielfältiger gefüllt worden.

 

Leicht zu erkennen sind diese Lieder und Texte auch: Steht unter der Liednummer ein "ö", so handelt es sich um einen Gesang, der mit exakt demselben Text und exakt derselben Melodie auch in anderen Kirchen verwendet wird, ein "(ö)" in Klammern bekommen all jene Werke, bei denen Text oder Melodie weitgehend, aber nicht vollständig übereinstimmen.

 

So finden sich im neuen "Gotteslob" bedeutende Gebete, Hymnen und Melodien aus der östlichen Tradition (z.B. 7,3; 11,2; 660; 661,8); da dürfen Katholiken mit Martin Luther und Dag Hammarskjöld das Wort an Gott richten (9,4; 10,3); da findet das vermutlich weltweit meistgesungene Kirchenlied nun auch Eingang in unseren Gottesdienst - die Musik und der (im Original englische) Text stammen von Anglikanern (94): "Abide with me", auf deutsch "Bleib bei uns, Herr".

 

In "ö-Liedern" zeigt sich, dass alle christlichen Kirchen gemeinsam auf dem Weg sind, dass sie sich gegenseitig bereichern können und dass das Verbindende zwischen ihnen größer ist als das Trennende. Wenn heute noch jemand fragt: Warum gibt es Texte evangelischer Autoren im katholischen Gesangbuch?, dann kann die Antwort nur lauten: Warum denn nicht?

 

Liborius Olaf Lumma

Innsbruck

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