Mittwoch 24. April 2024

Du Kind, zu dieser heilgen Zeit (GL 254)

Worte von Jochen Klep­per 1937; Melo­die von Fried­rich Samuel Rothen­berg 1939

 

Am Diens­tag, den 11. Januar 1938 ver­traute Jochen Klep­per (1903–1942) sei­nem Tage­buch – aus­zugs­weise erst­mals ver­öf­fent­licht 1956 mit dem Titel „Unter dem Schat­ten dei­ner Flü­gel“ – zwei auch für die­ses Lied wich­tige Sätze an. Die erste Bemer­kung umschreibt sein Ver­ständ­nis von Lie­dern: „Kir­chen­lie­der sind immer wie­der nur ein gro­ßes Buch: dahin ver­dich­ten sich alle meine Wün­sche.“ Klep­per fügt seine Lie­der in das „große Buch“ ein, das von den Psal­men über die alt­kirch­li­chen Hym­nen und Luthers Cho­räle bis zur Gegen­wart reicht. Und bei den „Wün­schen“ nennt er eine Frage, die ihn umtreibt: „Die ent­schei­dende Frage bleibt, ob ich jemals den Weg ins Gesang­buch finde.“ Klep­pers Lie­der haben die­sen Weg gefun­den, sogar mit einer öku­me­ni­schen Abzwei­gung! Ein Dut­zend sei­ner Lie­der ste­hen heute im Stamm­teil des Evan­ge­li­schen Gesang­buchs und ein hal­bes Dut­zend fin­den wir im katho­li­schen Gotteslob.

 

Jochen Klepper — voll Hoffnung auf Vollendung

Der aus Schle­sien stam­mende Jochen Klep­per, 1903 in Beu­then an der Oder gebo­ren, arbei­tete vor und nach sei­nem erfolg­rei­chen Roman „Der Vater. Roman des Sol­da­ten­kö­nigs“ (1937) jour­na­lis­tisch für Print und Rund­funk. Doch bald machte seine Hei­rat mit der ver­wit­we­ten Jüdin Johanna Stein-Gerstel (1890–1942) ein beruf­li­ches Fort­kom­men im natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Deutsch­land unmög­lich. Die Bedräng­nis der Eltern mit der jün­ge­ren Toch­ter Renate, genannt Ren­erle, aus Han­nis ers­ter Ehe – die ältere Toch­ter Bri­gitte konnte kurz vor Kriegs­aus­bruch über Schwe­den nach Eng­land aus­rei­sen – wurde so uner­träg­lich, dass sie ihrem Leben in der Nacht vom 10. auf den 11. Dezem­ber 1942 selbst ein Ende setz­ten. Es war wohl, inmit­ten aller Schre­cken, ein Ende in tief gläu­bi­ger Hoff­nung auf Vollendung.

Klep­pers geist­li­che Lie­der sind der Inbe­griff bib­lisch inspi­rier­ter Dich­tung in luthe­ri­scher Tra­di­tion. Im Dezem­ber 1937 gelin­gen ihm drei Lie­der, von denen zwei beson­ders bekannt gewor­den sind. Am 18. Dezem­ber ent­steht „Die Nacht ist vor­ge­drun­gen“, das bereits im ers­ten Got­tes­lob stand. Zwei Tage spä­ter, am 20. Dezem­ber, dann „Du Kind, zu die­ser heil­gen Zeit“. Beide Lie­der erschie­nen erst­mals gedruckt im Sep­tem­ber 1938 in Klep­pers Lied­samm­lung „Kyrie“. Die Über­schrift unse­res Lie­des heißt „Weihnachts-Kyrie“. Über­dies stellt Klep­per Worte aus Lukas 2,7 voran: „Und sie gebar ihren ers­ten Sohn und wickelte ihn in Win­deln und legte ihn ein eine Krippe; denn sie hat­ten sonst kei­nen Raum in der Herberge.“

 

Von der Krippe über das „gäh­nende Grab“ bis zur ewi­gen Schau „von Ange­sicht zu Ange­sicht“

Die­ses Lied besingt – aus­ge­hend auch von den Credo-Worten „gebo­ren“ und „gelit­ten“ – die Mensch­wer­dung Got­tes umfas­send: von der Krippe über das „gäh­nende Grab“ bis zur ewi­gen Schau „von Ange­sicht zu Ange­sicht“, die zum Gesang des neuen Lie­des „befreit“. Ein Kon­tra­punkt also zur weih­nacht­li­chen Idylle! Aber so haben viele Künst­ler Weih­nach­ten ver­stan­den. Man denke nur an Dürers Holz­schnitt der Geburt Christi mit kreuz­för­mi­gem Gebälk des Stal­les oder an Oli­vier Mes­siaens „Betrach­tung des Kreu­zes“ inmit­ten einer weih­nacht­li­chen Klaviermusik.

 

Auch die Lit­ur­gie kennt die­sen Zusam­men­hang, denn „schon am zwei­ten Weih­nachts­tag“ legt sie „die wei­ßen Fest­ge­wän­der ab“ (Edith Stein), um das Gedächt­nis des ers­ten Mär­ty­rers Ste­pha­nus zu bege­hen. Viel­leicht ist Klep­pers Lied, nach einer kur­zen Ein­füh­rung, ein Kyrie-Gesang für den Ste­phans­tag. Eine von Klep­pers kri­ti­schen Zei­len „Die Feier ward zu bunt und hei­ter, mit der die Welt dein Fest begeht“ inspi­rierte Lied­pre­digt könnte das noch unter­stüt­zen. In der letz­ten Stro­phe wei­tet sich der Ruf um Erbar­men zum „Hosi­nanna“: „Herr, hilf doch!“ Das „Hal­le­luja“ schweigt in die­sem Lied, des­sen Autor von den Natio­nal­so­zia­lis­ten mit Schreib­ver­bot belegt war. Die archa­isch wir­kende Melo­die des evan­ge­li­schen Pfar­rers und Musi­kers Fried­rich Samuel Rothen­berg (1910–1997) kommt den Wor­ten Klep­pers entgegen.

Mein­rad Walter

 

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